Das virtuelle Atelier von Tanja Soler Zang

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cut · Raum-Klang-Installation · 5teilig

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cut · Raum-Klang-Installation · Ausschnitt 01   

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cut · Raum-Klang-Installation · Ausschnitt 02

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cut · Raum-Klang-Installation · Ausschnitt 03

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cut · Raum-Klang-Installation · Ausschnitt 04   

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cut · Raum-Klang-Installation · Ausschnitt 05

 

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Zu sehen war die Raum-Klang-Installation in der "Kunstklinik Martini44" in Hamburg.

Mit gitterartigen Ausschneidungen aus mehreren Papierbahnen setzt sich die Künstlerin Tanja Soler Zang in ihrer Raum-Klang-Installation "cut" mit der Enge und der Anpassung an normierende Strukturen auseinander. Dabei fallen die Reste des durch die Anpassung vollzogenen Verletzungsvorgangs auf den Boden.

Die fragilen gerippeartig herabhängenden Objekte und deren Schneidereste verkörpern den Assimilationsprozess. Fortwährende Schneidegeräusche im Hintergrund versetzen den Betrachter direkt in diesen Prozess hinein.

Was könnte dies bedeuten?

Als kleines Kind waren wir noch unbekümmert, spontan, direkt, neugierig und aktiv. Aber schon früh erklärten uns die Eltern, was "man macht" und noch viel eindringlicher "was man nicht macht". Das war wichtig, denn schließlich sollten wir ja ein richtiger Mensch in dieser Gesellschaft werden. Dazu lernten wir Regeln, Leitlinien, Werte und Verbote. Die Eltern lobten und tadelten uns – und wir verhielten uns, wie die Eltern es erwarteten, denn wir wollten ja von ihnen geliebt werden.

Je älter wir wurden, desto mehr und detaillierter übernahmen wir Verhaltens-, Kommunikations- und Denkmuster, lernten Manieren und Etikette, Floskeln, Höflichkeit und Umgangsarten. Aber auch Werthaltungen und Leitsätze übernahmen wir – unbewusst – aber nachhaltig: "Du sollst ja mal den Laden übernehmen" - "Wenn man damit kein Geld verdienen kann, dann ist das total wertlos" - "Du sollst ja mal weiter aufsteigen als wir" - "so ’n Sozialklimbim macht noch alles kaputt" ...

Jeder kennt diese Leitsätze seiner Eltern wohl zur Genüge. Viele Menschen emanzipieren sich in ihrer Pubertät kurzzeitig von der elterlichen gutgemeinten Prägung und versuchen einen eigenen Weg zu gehen, eigene Werte zu entwickeln, selbst zu denken usw.

Aber schon kurze Zeit später holt fast alle die Realität ein: Die Ausbildung erfordert tägliches "Ranklotzen", der Abi-Stress lässt kaum Raum für eigene Überlegungen. Spätestens dann erstirbt die Rebellion für "eigenes Leben" und die Anpassung an die Erfordernisse setzt sich fort, ja sie endet eigentlich nie.

Dieser immerwährende Prozess der Anpassung – die Sozialisation – machte aus uns Menschen die Person, die wir heute sind; sie gab uns unsere "Identität". Je nach Milieu, je nach "Macke der Eltern", je nach Ausbildung oder Studienrichtung ist der Assimilationsprozess zu einem "funktionierenden Mitglied der Gesellschaft" mehr oder weniger einengend. Dieser Prozess kann uns ein Korsett angelegt haben – kann uns in eine Art "inneres Gefängnis" gesteckt haben, aus dem wir in der Regel zeitlebens nicht mehr entkommen können.

Die Arbeit "cut" visualisiert den Prozess der gesellschaftlichen Assimilation: Das "Objekt der Gesellschaft" wird mittels vieler scharfer Schnitte so bearbeitet, dass es passt, dass es seine Funktion erfüllen kann. Dabei fallen viele Späne bzw. Papierschnipsel an, die noch aufzeigen, dass das Objekt bearbeitet wurde und dass es ursprünglich mal ganz anders aussah.

Jeder von uns Menschen ist im Grunde so ein "Objekt", welches bearbeitet wurde und wird. Der Vorgang des regelhaften und gitterartigen Ausschneidens visualisiert den schleichenden Verlauf des Anpassens an rigide gesellschaftliche Normen, welche sich unmerklich in unser Denken und Handeln eingraben. Der Assimilationsdruck bleibt dabei permanent aufrecht erhalten.

Jedes "Anderssein", jede Verletzung der üblichen Normen erzeugt einen Spannungszustand, den wir doch lieber vermeiden. Wir passen uns also weiter an – assimilieren uns – um nicht in Konfliktsituationen – äußere und innere – zu geraten.

Bei Manchem wurden im Laufe seines Lebens nur wenige Schnipsel herausgeschnitten, bei Manchen aber wuchsen die verinnerlichten Normen zum inneren Tyrannen heran, bei Manchen sind alle Entscheidungen bedingungslos an den vorauseilenden Normen-Gehorsam geknüpft.

Die Arbeit "cut" ist eine Dokumentation von uns selbst – von unserem Menschwerden, von unserer frühkindlichen Sozialisation und von unserer Assimilation an die Gesellschaft. Die spezielle Konstellation der deformierten Gitterbahnen in dem Environment eines verlassenen Krankenhauses sowie die auditive Komponente in Form von Schnittgeräuschen visualisieren dieses prägende und lebensentscheidende Anpassungsszenario.

Tanja Soler Zang  ·  art at solza.de